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1978: Waves1978: Waves

1978 Martin Kolbe & Ralf Illenberger: Waves

© ℗ 1978 LP Mood Records 22.900
CD ℗ 1985 Mood Records 33.603


Opening / G'schteinigt / Music / Namenlos / Waves / Break / In der Halle des Bergkönigs / Sommerabend / What about the Nose?

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Noch vor den Aufnahmen zu „Blue Moment“ hatte ich eher zufällig bei der Eröffnung eines Musikladens einen anderen Gitarristen aus der Nachbarstadt getroffen: Ralf Illenberger. Wir jamten zusammen und entdeckten sofort eine unglaubliche musikalische Übereinstimmung. Technisch ergänzten wir uns perfekt, darüber hinaus hatten wir einen fast zu 100 % gleichen Musikgeschmack.

Nach der Fertigstellung meiner Produktion trafen wir uns einmal in der Woche - mehr lag zeitlich nicht drin, denn er verfolgte ein Studium und bei mir ging es in der Schule langsam auf das Abitur zu. Bei jedem unserer Treffen entstand eine neue Komposition, die wir auf meiner Vierspurmaschine aufnahmen. Mit geräteinternen Überspielungen erzeugten wir mit vielen übereinander geschichteten Gitarrenspuren einen bisher ungehörten orchestralen Sound. Es schien, als würde durch unsere Zusammenarbeit etwas entstehen, was viel größer und bedeutender war als die Summe dessen, was wir bisher einzeln gemacht hatten. Wir spielten unsere neuen Stücke zunächst niemandem vor, fast so, als hätten wir einen kostbaren Schatz entdeckt, den wir so lange wie möglich für uns behalten wollten.

Die Versuchung, alles in einen Topf zu werfen und von nun an nur noch zusammen zu arbeiten, war unwiderstehlich, weshalb wir bald beschlossen, dies auch zu tun, obwohl Ralf unlängst mit seinem damaligen Duopartner Jürgen Kirsch eine LP veröffentlicht hatte und meine „Blue Moment“ gerade erst erschienen war und mit Konzerten beworben werden wollte.

In Stuttgart hatte sich vor Kurzem ein neues Plattenlabel gegründet, Mood Records. Unter den Initiatoren und Inhabern waren einige der bedeutendsten Namen des deutschen Jazz, etwa Wolfgang Dauner, Volker Kriegel und Albert Mangelsdorff, dazu Werner Schretzmeier, eine fast mythische Figur in der alternativen Kulturszene Stuttgarts, auch ein Tonstudio war Teilhaber der Firma. Mood hatte auf Anhieb sensationellen Erfolg mit einer Platte des „United Jazz & Rock Ensembles“, eine Allstarbesetzung mit den prominentesten Vertretern des deutschen und europäischen Jazz. Neben den bereits Genannten gehörten unter anderem Eberhard Weber am Bass, Jon Hiseman am Schlagzeug und die Saxophonisten Charlie Mariano und Barbara Thompson zur Besetzung.

Eines Tages erhielt ich einen Anruf von Wolfgang Dauner, den ich vor einiger Zeit im Rahmen eines Filmmusik-Projektes kennengelernt hatte. Er schlug mir vor, meine nächste Platte bei Mood herauszubringen, aber ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte. Zum Einen spielte ich ja jetzt mit Ralf zusammen und es war nicht gerade Jazz, was wir da fabrizierten, andererseits lief es mit Stockfisch sehr gut an und ich fühlte mich verpflichtet, dort weiterzumachen, auch wenn es keine Vertragsklausel gab, die mich gebunden hätte. Außerdem wurde Mood Records exklusiv beim 2001-Versand vertrieben, das heißt, die Platten waren nur über Postversand und in einigen wenigen Läden in Deutschland erhältlich. Ich sagte also mit einem gewissen Bedauern ab.

Nur kurz später war Werner Schretzmeier am Telefon und überredete mich in einem mehrstündigen Gespräch, sich wenigstens einmal zu treffen, zum Beispiel im beteiligten Tonstudio Zuckerfabrik, in dem ich schon die „37 1/4“ aufgenommen und bei verschiedenen anderen Produktionen mitgewirkt hatte. Ralf und ich trafen Gibbs Platen, den Toningenieur und Mitinhaber des Studios und wir gingen zusammen essen. Bei Linsen mit Spätzle unterbreitete er uns, was Mood alles zu bieten hatte – und das war beachtlich: keine Studiozeitbeschränkung; ein fünfstelliger Vorschuss zur Finanzierung einer guten PA-Anlage; kostenlose Benutzung des Mood-eigenen VW-Busses für Tourneen; Lizenzen in einer Höhe, von der man sonst nur träumen konnte; kräftige Unterstützung in Form von PR und den vielen Kontakten, die man hatte – kurzum, ein Angebot, das man nicht ausschlagen durfte.

Wir wurden uns also doch recht schnell einig, wohlgemerkt noch ohne dass die Gegenseite unsere neue Musik gehört hatte. Unsere Demos stießen jedoch auf äußerst positive Resonanz. Wolfgang Dauner bot an, bei ein paar Stücken mitzuspielen, auch Eberhard Weber sollte mit einbezogen werden. Unseren Plattenvertrag tippten wir selbst auf der alten Schreibmaschine im Büro des Tonstudios, Mood fügte nur noch ein paar kleine Ergänzungen hinzu.

Die Aufnahmen waren wie ein einziger Rausch und gelangen noch viel besser, als wir es gedacht hätten. Die exzellente Studiotechnik und Gibbs' sensibles Begleiten machten alles sehr leicht und angenehm, wir probierten ein paar Tricks wie akustische Gitarren durch ein Leslie-Kabinett zu jagen oder das Playback in halber oder doppelter Bandgeschwindigkeit laufen zu lassen und dazu zu spielen, um eine Oktavierung nach oben oder unten zu erreichen. Und natürlich schichteten wir wieder Gitarrenspur auf Gitarrenspur, um „unseren“ Sound herzustellen, diesmal in hervorragender Klangqualität – bei einigen Stücken laufen 16 Gitarrenspuren parallel. Wolfgang Dauner kam nur ab und zu ins Studio, hörte sich das bisher Entstandene mit sichtlichem Wohlwollen an und verschwand mit einem trockenen „Weiter so!“ wieder. Er und Eberhard Weber steuerten ein paar inspirierte und behutsame zusätzliche Klangfarben bei. Das Endergebnis überzeugte alle Beteiligten.

„Waves“ bekam sehr gute Kritiken, wurde für den Deutschen Schallplattenpreis nominiert und verkaufte sich auf Anhieb bestens. Das „United Jazz & Rock Ensemble“ nahm uns mit auf seine Deutschlandtournee durch einige große Hallen und Konzertsäle, freundlicherweise nicht als Vorgruppe, sondern als Gäste im Programm nach der Pause. Nach dieser Reise gingen wir auf unsere erste große eigene Tour, bei der wir während sechs Wochen fast jeden Tag auftraten. An einem Ort sagte der Veranstalter, als wir ankamen: „Euch eilt ja ein unglaublich guter Ruf voraus.“ Da war offenbar etwas dran, denn die meisten Konzerte waren sehr gut besucht oder ausverkauft.