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Bipolare StörungBipolar Disorder

Bipolare Störung

Bipolare Störung – was ist das?

Martin Kolbe
1. stellvertretender Vorsitzender und
Betroffenenvertreter im Vorstand der DGBS

Seit einiger Zeit engagiere ich mich in der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. (DGBS), denn deren Thema geht mich persönlich an und die Songtexte auf meiner CD Songs from the Inside drehen sich ausschließlich um diese psychische Erkrankung.

Bipolare Störungen wurden früher als manisch-depressive Erkrankungen bezeichnet; dieser Begriff ist vielen heute immer noch geläufiger als die modernere Bezeichnung. Menschen mit einer Bipolaren Störung unterliegen extremen, willentlich nicht beeinflussbaren Schwankungen in Stimmung und Antrieb. Dies lässt sich in keiner Weise vergleichen mit „normalen” Befindlichkeitsschwankungen, wie sie jedermann kennt: Mal ist man nicht so gut drauf, mal könnte man die Welt umarmen.

Eine Bipolare Störung geht weit darüber hinaus, sie umfasst in extremer Form die gesamte Skala menschlicher Empfindungen, vom euphorischen, getriebenen Hoch einer Manie bis zur verzweifelten Hoffnungslosigkeit einer Depression. Die Erkrankung verläuft in Phasen bzw. Episoden. Zwischen den krankhaften Hochs und Tiefs liegen Zeiten der völligen „Normalität”, die mitunter Jahre andauern können.

Bipolare Störungen sind sehr individuell in ihrer Ausprägung und im Verlauf. Ein Teil der Betroffenen erlebt heftige Manien mit nachfolgenden Depressionen (Bipolar-I-Störung), andere sind fast durchweg depressiv und erleben nur ab und zu eine leichtere Form der Manie, auch Hypomanie genannt (Bipolar-II-Störung). Dies ist aber nur eine grobe Einteilung. Der zeitliche Verlauf ist ebenfalls sehr individuell: Während manche Betroffene nur wenige Episoden mit großem zeitlichen Abstand erleben, gehen andere mehrmals jährlich, in Einzelfällen auch monatlich oder sogar täglich auf eine emotionale Achterbahnfahrt. Angesichts der vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen ist man geneigt zu sagen, dass so viele verschiedene Bipolare Störungen existieren wie es daran Erkrankte gibt.

Die Dunkelziffer der nicht Diagnostizierten und dadurch auch nicht Behandelten wird auf etwa 50 % geschätzt. Eine fatale Tatsache, wenn man bedenkt, dass die Suizidalität von bipolar Erkrankten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung deutlich erhöht ist. Auch die sozialen Folgen sind oftmals verheerend; ein Großteil der Erkrankten kann nicht mehr am Arbeitsleben teilnehmen, Freundschaften und Beziehungen zerbrechen, teilweise führt dies bis zum sogenannten „sozialen Tod”. Laut WHO beträgt der Anteil bipolar Betroffener in der Bevölkerung 1 bis 2 %, das heißt, allein in Deutschland gehen die Zahlen in die Millionen. Dazu kommen die Familienangehörigen und Freunde, die oft unter den Symptomen der Erkrankung ebenso leiden wie die Betroffenen selbst. Noch immer vergehen im Schnitt sechs bis acht Jahre, bis die zutreffende Diagnose gestellt wird.

Die gute Nachricht ist: Eine Bipolare Störung kann, wenn sie einmal richtig erkannt wurde, in der Regel gut behandelt werden. Psychotherapie, der Besuch einer Selbsthilfegruppe, Psychoedukation (bei der die verschiedenen Aspekte der Erkrankung sowie Bewältigungsstrategien vermittelt werden) und Medikamente – dies sind die wichtigsten Bausteine für einen gelungenen Umgang mit der Erkrankung. Auch hier gibt es eine große Bandbreite: Während einige Betroffene mit nur wenigen oder sogar ganz ohne Medikamente der Bipolaren Störung begegnen können, sind andere auf die dauernde Einnahme von Psychopharmaka angewiesen, oft mit den bekannten und befürchteten Nebenwirkungen. Bei vielen Betroffenen dauert es lange, bis die richtige Therapie gefunden ist.

Manch einer wird nun vielleicht sagen, „Ach, solche Stimmungsschwankungen können doch nicht so schlimm sein, man muss doch nicht gleich alles pathologisieren!” Es liegt der Medizin und insbesondere der Psychiatrie fern, alle in dasselbe Schema pressen zu wollen und jede Abweichung von der Norm als krankheitswertig zu bezeichnen. Entscheidend ist einzig und allein der Leidensdruck. Wenn jemand aufgrund der Erkrankung die Ausbildung oder die berufliche Karriere aufs Spiel setzt, die eigene Familie und enge Beziehungen zerstört oder seine materielle Existenz ruiniert, ist es gut, dass es Möglichkeiten der Hilfestellung gibt, wie sie zum Beispiel die Psychiatrie bieten kann.

Bipolare Störung und Kunst

Der überdurchschnittlich hohe Anteil von bipolar betroffenen Menschen, die in kreativen Berufen arbeiten, legt nahe, dass es eine Verbindung zwischen der Bipolaren Störung und Kreativität gibt. Dies ist jedoch nicht durch Studien belegt. Trotzdem ist die Liste von bekannten Kreativen, die mit dieser Erkrankung in Verbindung gebracht werden, beeindruckend. Es ist zwar heikel, lange Jahre nach dem Ableben eine verlässliche Diagnose zu stellen, aber bei Künstlern wie Vincent van Gogh, Michelangelo, Hermann Hesse, dem Maler Edvard Munch oder dem Komponisten Robert Schumann liegt angesichts des Lebensverlaufs die Vermutung einer Bipolaren Störung sehr nahe. Auch bei den Schriftstellerinnen Sylvia Plath und Virginia Woolf oder dem Maler Jackson Pollock gilt die Diagnose als relativ sicher. In der jüngeren Vergangenheit sind vor allem die Musiker Jaco Pastorius, Kurt Cobain und Amy Winehouse zu nennen. Die Zahl der prominenten bipolar Betroffenen, die sich aktuell offen zu ihrer Erkrankung äußern, nimmt in letzter Zeit zu. Die Schauspieler Catherine Zeta-Jones und Jean-Claude van Damme, das britische Multitalent Stephen Fry oder die Sängerin Sinead O'Connor sind nur einige Beispiele.

Die Ideenflut, das gesteigerte Selbstwertgefühl und die enorme kreative und körperliche Energie, die mit einer (hypo)manischen Phase einhergehen, haben mit Sicherheit zur Entstehung einiger bedeutender Kunstwerke beigetragen. Allerdings ist hierbei anzumerken, dass den Betroffenen wegen der manischen Selbstüberschätzung das künstlerische Schaffen oft grandioser vorkommt als es eigentlich ist und einem nüchterneren und kritischen Blick im Nachhinein nicht standhalten kann.

Stigma

Noch immer gilt es als Makel, eine psychische Erkrankung zu haben. Zwar hat der tragische Tod durch Suizid des ehemaligen deutschen Fußball-Nationaltorwarts Robert Enke viel dazu beigetragen, offen über Depressionen oder Burnout zu sprechen, dennoch gelten andere seelische Erkrankungen wie Schizophrenie, Borderline oder eben Bipolare Störungen weiterhin als angsteinflößend und bedrohlich. Dabei ist durch Studien bewiesen, dass hiervon Betroffene keineswegs häufiger Gewaltverbrechen begehen als der Durchschnitt der Bevölkerung, sie sind hingegen überdurchschnittlich oft Opfer von Gewalttaten.

Das Bild des „gefährlichen Irren” ist immer noch in vielen Köpfen, befeuert von Hollywood-Filmen wie „Shining” oder durch alte Edgar-Wallace-Verfilmungen, in denen Klaus Kinski die Rolle des Wahnsinnigen virtuos, aber sehr tendenziös verkörperte. Auch wird das Image der Psychiatrie noch immer durch Filme wie „Einer flog über's Kuckucksnest” geprägt, obwohl das Gezeigte mit der modernen Psychiatrie so gut wie nichts zu tun hat.

Nur wenn wir offen darüber reden und zu diesem vermeintlichen Makel stehen, können wir das Stigma nach und nach überwinden. Über eine psychische Erkrankung zu sprechen sollte eines Tages so selbstverständlich sein wie sich über Diabetes, Bluthochdruck oder Allergien zu unterhalten.